„Inklusion birgt mehr Chancen als Herausforderungen“

Drei Mitarbeiter:innen befassen sich beim BFV aktuell mit dem Thema Inklusion: Karl Felix Heinz, Lisa Otto und Julian Marcell (v. l. n. r.). Foto: BFV.

Lisa Otto, Julian Marcell und Karl Felix Heinz sind beim BFV für das Thema Inklusion zuständig. Im Interview stellen sie sich und ihre Arbeit vor.

Der Berliner Fußball-Verband hat sich im Bereich Inklusion in den letzten Jahren neu aufgestellt und beschäftigt mittlerweile drei Mitarbeiter:innen, die wichtige Projekte vorantreiben und den Berliner Vereinen als Ansprechpersonen zur Seite stehen.

Karl Felix Heinz (karl-felix.heinz@berlinerfv.de; Tel.: 030 89 69 94-157) ist hauptamtlicher Inklusionsbeauftragter beim BFV und für die Koordinierung der Maßnahmen verantwortlich, die sich mit dem Abbau von Barrieren im Berliner Fußball beschäftigen. Lisa Otto (lisa.otto@berlinerfv.de; Tel.: 030 89 69 94-158) unterstützt ihn seit Ende des vergangenen Jahres als hauptamtliche Event-Inklusionsmanagerin. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Optimierung von Veranstaltungen hinsichtlich der Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderung. Julian Marcell (julian.marcell@berlinerfv.de) komplettiert das Team als ehrenamtlicher Inklusionsbeauftragter. Im Interview stellen sich die drei vor und sprechen über ihren Tätigkeitsbereich.

Hallo Lisa, Julian und Karl! Erzählt zu Beginn doch mal, wie euer Bezug zum (Berliner) Fußball ist?

Lisa Otto: Ich habe mit fünf Jahren angefangen, Fußball zu spielen. Somit begleitet mich dieser Sport mein ganzes Leben. Ich komme aus Leipzig und habe dort im Jugendbereich diverse Bezirks- und Landesauswahlmannschaften durchlaufen. Später habe ich Sportwissenschaften studiert und im Rahmen dessen Fußball als Schwerpunkt belegt.

Julian Marcell: Ich spiele bereits seit meiner frühen Kindheit Fußball, habe allerdings erst spät den Schritt in einen Verein gewagt. Nachdem ich zunächst bei der SG Rotation Prenzlauer Berg angefangen habe, bin ich mittlerweile in die Freizeitliga zum Berliner TSC gewechselt. Darüber hinaus bin ich bei Pfeffersport als Trainer zweier Inklusionsmannschaften für Kinder und Jugendliche tätig. Dort spielen sowohl Kids, die aufgrund unterschiedlicher Behinderungen im regulären Wettkampfbetrieb keinen Platz finden oder keinen Spaß dabei haben, als auch Kinder ohne Beeinträchtigungen.

Karl Felix Heinz: Ich habe als kleiner Junge in Oranienburg das Fußballspielen erlernt. In der Jugend habe ich unter anderem die Stationen Hertha BSC, Tennis Borussia und Reinickendorfer Füchse durchlaufen. Aus dem ambitionierten Traum von einer Profikarriere ist mit dem Schritt auf das Großfeld dann doch die Erkenntnis geworden, dass es für ganz oben leider nicht reicht. In der B-Jugend bin ich in die Heimat nach Oranienburg zurückgekehrt. Nach zwei Kreuzbandrissen habe ich mit 19 meine aktive Laufbahn erstmal an den Nagel gehängt und bin – zunächst auch bei Pfeffersport – Trainer geworden. Mittlerweile kicke ich wieder in der Kreisliga in Brandenburg. 2017 bin ich erstmals mit dem Thema Inklusionssport in Berührung gekommen. Bei der Blindenfußball-Europameisterschaft in Berlin habe ich das Organisationskomitee bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit unterstützt.

Letztendlich seid ihr alle beim BFV gelandet. Wie sehen eure genauen Aufgabenbereiche im Verband aus?

Karl: Ich bin hauptamtlicher Inklusionsbeauftragter in Teilzeit beim BFV. Meine Stelle wird aktuell von der Aktion Mensch gefördert. In dieser Funktion bearbeite ich verschiedene Tätigkeitsfelder. Der umfassendste Bereich ist die Schaffung von Spiel- und Wettbewerbsangeboten für Menschen mit Behinderung. In Berlin gibt es bereits diverse Inklusionsteams für Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen, Blindenfußball bei Hertha BSC, Amputiertenfußball bei Tennis Borussia, Gehörlosenfußball beim BSC Comet und „Walking Football“. Die Netzwerkarbeit mit anderen Organisationen und Verbänden, die sich im Bereich Inklusionssport engagieren, ist ein weiterer wichtiger Teil meiner Arbeit. Dabei geht es z. B. darum, Kriterienkataloge für inklusive Sportanlagen zu erstellen und diese an die Politik zu vermitteln. Parallel arbeiten wir daran, die Qualifizierungsangebote des BFV barrierefreier zu gestalten und das Thema Inklusion auch in die Trainer:innen- und Schiedsrichter:innenausbildung zu integrieren.

Lisa: Ich bin seit 1. Dezember 2021 die neue hauptamtliche Event-Inklusionsmanagerin beim BFV. Die Stelle, die es in dieser Form bundesweit insgesamt zwölfmal gibt und explizit auch nur an Menschen mit Schwerbehinderung vergeben wird, ist vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) gefördert. Der Kern meines Aufgabenbereichs liegt in der Überprüfung und Optimierung von allen BFV-Veranstaltungen in Bezug auf Aspekte der Barrierefreiheit. Es muss zukünftig noch viel stärker darauf geachtet werden, echte Teilhabe für alle zu ermöglichen. 2022 (Nationale Spiele) und 2023 (World Games) findet in Berlin mit den Special Olympics zudem ein Großevent des Inklusionssport statt, das ich ebenfalls begleiten werde.

Julian: Ich unterstütze die Arbeit von Karl als ehrenamtlicher Inklusionsbeauftragter. Dabei fungiere ich bisher vor allem als Ansprechperson für Vereine und Fußballer:innen mit Behinderung, besuche inklusive Sportevents und bin in die Netzwerkarbeit eingebunden.

„Raus aus dem Abseits – Berliner Fußball inklusiv(er)“ Unter diesem Projekttitel setzt sich der BFV seit mehreren Jahren für inklusive Strukturen im Berliner Fußball ein. Wo stehen wir aktuell und in welchen Bereichen seht ihr noch Nachholbedarf?

Julian: Wie bereits von Karl angesprochen, gibt es in Berlin in einigen Vereinen inklusive Fußballangebote sowie Fußballvarianten mit regelmäßigem Spielbetrieb, die sich speziell an Menschen mit Behinderung richten. Grundsätzlich sind wir auf einem guten Weg. Allerdings sind wir gerade im Bereich der Angebote für Kinder und Jugendliche mit Behinderung noch nicht breit genug aufgestellt.

Karl: Viele Fußballvereine sind auch noch nicht für das Thema Inklusion sensibilisiert und wissen nicht, wie sie Menschen mit Behinderung in den Vereinskontext integrieren können. Aus diesem Grund ist es für uns ein wichtiger Ansatzpunkt, den Bereich verstärkt in unsere Qualifizierungsmaßnahmen aufzunehmen. Beispielsweise wird es künftig im Grundlehrgang ein Pflichtmodul „Inklusion“ geben, sodass jede:r angehende:r Trainer:in bereits zu Beginn der Ausbildung Berührungspunkte mit dem Thema hat. Zudem bietet der BFV Jugendspieler:innen mit Behinderung oder Entwicklungsverzögerung die Möglichkeit, einen Antrag auf Rückstufung in eine niedrigere Altersklasse zu stellen (mehr Infos zum Prozedere). Somit soll ihnen die Einbindung in den regulären Spielbetrieb erleichtert werden. Zusätzlich wollen wir die Angebote in den spezifischen Fußball-Varianten Walking Football, Blindenfußball und Amputiertenfußball weiterentwickeln.

Lisa: Grundsätzlich ist das Thema Inklusion von Fall zu Fall individuell zu betrachten. Das Ziel ist es, bestehende Barrieren im Amateursport soweit abzubauen, dass er für alle Menschen zugänglich ist. Trotzdem wird es auch in Zukunft weiterhin einen Bedarf an Angeboten geben, der sich speziell an Menschen mit Behinderung richtet – wie z. B. Amputierten- oder Blinden-Fußball. Unsere Aufgabe als Verband ist es, die Berliner Vereine beim Aufbau inklusiver Strukturen zu unterstützen und die öffentliche Aufmerksamkeit immer wieder auf das Thema zu lenken.

Wir blicken jetzt einmal fiktiv zehn Jahre in die Zukunft: Was hat sich bis dahin im Idealfall im Berliner Fußball getan?

Julian: In meiner Idealvorstellung sollte bis dahin jeder Mensch ein Angebot im Berliner Fußball finden können, das ihm bzw. ihr die Perspektive bietet, die Freude an der Bewegung ausleben zu können. Auch wenn nicht jeder Verein die Möglichkeit hat, eigene Angebote für Menschen mit Behinderung zu schaffen, so sollten aber doch flächendeckend Anlaufpunkte aufgebaut werden, um interessierte Personen nicht abzuweisen, sondern an die passenden Kontakte zu vermitteln.

Lisa: Das hoffe ich auch. Um an diesen Punkt zu kommen, muss aber die gesamte Infrastruktur ausgebaut und optimiert werden. Um mehr inklusive Sportangebote schaffen zu können, bedarf es zum Beispiel auch mehr Sportstätten, sodass mehr Platz- bzw. Hallenzeiten zur Verfügung stehen. Berührungspunkte mit dem Thema müssen zudem stärker in die Bildung integriert werden. Damit müssen wir uns im Qualifizierungsbereich des BFV auseinandersetzen, grundsätzlich muss aber auch in der schulischen und beruflichen Bildung ein stärkerer Fokus auf Inklusion gelegt werden.

Karl: Der vielleicht wichtigste Schritt ist, dass sich die Grundeinstellung zum Thema Inklusion wandelt: Viele Personen, die in ihrem Leben wenige oder auch gar keine Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung hatten, verbinden das Thema oft nur mit hohem Aufwand und großen Herausforderungen und übersehen dabei die Chancen. Ein vielfältiges Vereinsleben beispielsweise ist absolut bereichernd und erweitert den Horizont aller Mitglieder. Mit den Special Olympics haben wir in diesem und im nächsten Jahr glücklicherweise ein Großevent in Berlin, dass diese Potentiale offenlegen und Menschen mit Behinderung hoffentlich zu mehr Teilhabe am Sport und an der Gesellschaft im Allgemeinen verhelfen wird.

Ausführliche Informationen zum Engagement des BFV gibt es hier: Inklusion im Berliner Fußball