Ricardo Scheuerer referiert vor Berlins Spitzenschiedsrichterinnen und -schiedsrichtern

Eine große Überraschung erwartete alle Mitglieder des Team-Leistungskaders (TLK) am 15. November 2017 zum Stützpunkt im Monat November. Statt dem Fußball stand diesen Mittwoch Teammitglied Ricardo Scheuerer im Mittelpunkt. Ricardo pfeift seit einigen Jahren auf Berlins Fußballplätzen, mittlerweile in der Landesliga, und ist gehörlos. Tim-David Horacek berichtet von Ricardos Einblick in die Welt der Gehörlosen.

Mit Hilfe von Stefan, der Ricardo im TLK seit geraumer Zeit dolmetscht und uns von Fahrten und Stützpunkten her schon bekannt war, referierte Ricardo rund zweineinhalb Stunden über die geschichtliche Entwicklung der Gebärdensprache und seinen Alltag. Begleitet wurde die Veranstaltung von einem Kameramann des RBB, der Ricardo für einen Fernsehbeitrag derzeit bei seiner Schiedsrichtertätigkeit begleitet.

Ricardo konnte uns einen eindrucksvollen Einblick in eine für uns doch sehr unbekannte Welt geben, die viel ähnlicher ist, als viele es vermuteten. So konnten einige Vorurteile aus dem Raum geräumt werden. Zum Beispiel können Gehörlose durchaus schreien, bzw. Laute von sich geben; sie sind nicht taubstumm, konnten nur nie lernen, wie man Laute in Worte umwandelt. Ricardo erklärte, dass sich Gehörlose nicht ständig dem Buchstabieren von Namen bedienen müssen; vielmehr benutzen Sie Erkennungsmerkmale als Personenbeschreibung. Viel Heiterkeit rief Ricardo so bei einer äußerst gelungenen Interpretation von Donald Trump ("Föhnfrisur") und Angela Merkel ("herunterhängende Mundwinkel") vor.

Erstaunt reagierte das Publikum hingegen auf den Umstand, dass wie bei der gesprochenen Sprache jedes Land seine eigene Gebärdensprache, ja jedes Bundesland sogar eigene Akzente hervorbringt. Ein gehörloser Berliner hat mithin ebenso große Probleme einen gehörlosen Sachsen zu verstehen, wie es teilweise bei Hörenden der Fall ist. International machen es sich die Gehörlosen übrigens einfacher, als die Hörenden: Sie nehmen einfach aus jeder internationalen Sprache die passendste Gestik und packen diese in einen einheitlichen "internationalen Topf".

Anschließend durfte sich jeder Anwesende im Selbsttest daran versuchen, seinen Namen nach dem Gehörlosenalphabet zu buchstabieren, wobei sich hier wieder einmal der Vorteil eines kurzen Vornamens offenbarte. Mit einer Menge Humor sah man sich gegenseitig bei mehr oder weniger gelungenen Buchstabierarbeiten zu. Dass es bei der Gebärdensprache auf wahnsinnige Präzision ankommt, zeigt nicht nur der auf dem ersten Blick kaum zu erkennende Unterschied zwischen "A" und "S" (lediglich eine minimale Verwinkelung des Daumens): Als Annett Unterbeck Ihren Namen buchstabieren wollte, zeigte sie am Ende statt eines "Doppel-T" die Gebärdenbezeichnung für "Ich tanke mein Auto zweimal auf". Als Ricardo wiederum seinen Namen (immerhin 7 Buchstaben) in die Luft schrieb, hatten die wenigsten überhaupt den ersten Buchstaben registrieren können, da war er bereits fertig.

Neben all den spaßig vermittelten Informationen schilderte Ricardo aber auch, welche Probleme die Gehörlosigkeit im Alltag mit sich bringt. So war ein normal integrierter Alltag vor nur 15 Jahren kaum möglich. Denn erst mit der Einführung des Behindertengleichstellungsgesetzes im Jahre 2002 wurde es Gehörlosen ermöglicht, staatlich subventionierte Alltagshilfen (Videotelefonie; eine Art Fax/Telegramm zur Fernkommunikation) in Anspruch zu nehmen. Noch heute sind Gehörlose bei jedem Arztbesuch auf einen Dolmetscher angewiesen, welcher wiederum - aufgrund staatlich festgelegter Obergrenzen - nicht immer verfügbar und entsprechend teuer ist. Wichtige Termine müssen daher manchmal einfach abgesagt werden. Dass es im Jahre 2017 für Gehörlose nicht möglich ist, Polizei, Feuerwehr oder Notarzt zu rufen, da diese Einrichtung weder über Videotelefonie, noch über entsprechende Dolmetscher verfügen, führte zu sehr erstaunten Gesichtern.

Am Ende des Vortrages hatten aber alle Anwesenden, Leitung und Mitglieder des TLK, sowie die anwesenden Gäste Alexander Molzahn, Annett Unterbeck, Kati Kobelt und Jörg Mollitor, vor allem Respekt davor wie (und vor allem wie effizient) man ohne Laute kommunizieren kann. Alle konnten an diesem Abend beeindruckende Erfahrungen sammeln und Ricardo in Zukunft mit Sicherheit (noch) besser verstehen.

Tim Horacek