Im Interview: Ailien Poese spricht über die weibliche Talentförderung

Die BFV-Verbandstrainerin Ailien Poese im Interview. Foto: BFV.

Christine Lehmann, Referentin für Mädchenfußball beim BFV, sprach mit der Verbandstrainerin Ailien Poese über Talentförderung im weiblichen Bereich, DFB-Sichtungsturniere und das Fußballspielen in Jungsteams.

Christine Lehmann: Wie funktioniert die Talentförderung im weiblichen Bereich?

Ailien Poese: „Der Landesverband ist die Schnittstelle und Talentförderinstanz zwischen den Vereinen und dem Deutschen Fußball-Bund. Da es bei den Mädchen keine Nachwuchsleistungszentren gibt, wie sie sich im männlichen Bereich etabliert haben (DFB-Zertifizierung), läuft die Förderung der Talente über den Landesverband in Zusammenarbeit mit den Vereinen. Die Talentförderung arbeitet vereinsneutral und stellt die jeweilige Spielerin in den Vordergrund.“

Ab welchem Alter beginnt die weibliche Talentförderung?

„Die Förderung beginnt im Bereich der U12-Auswahl. Im U12-Bereich haben wir in der Stadt drei BFV-Mädchenstützpunkte, die immer montags trainieren. Aus diesen drei BFV-Mädchenstützpunkten wird die U12-Auswahl gebildet, die einmal im Monat montags trainiert. Hinzu kommen zu Maßnahmen der U12-Auswahl noch die DFB-Stützpunktspielerinnen, die nicht in den BFV-Mädchenstützpunkten trainieren, da das Training mit den Jungs im DFB-Stützpunkt Vorrang hat. Danach folgt die U14 Auswahl. Diese hat einmal einen Kader der U14-Auswahl, der mittwochs trainiert und einen Förderkader für Perspektivspielerinnen, der montags trainiert. Die U14-Auswahl ist die jüngste Mannschaft, die zum Ende der Saison zum DFB-Sichtungsturnier nach Duisburg fährt.“

Welche Jahrgänge gibt es noch?

„Es folgt die U16 und U18-Auswahl, die jeweils auch zum DFB-Sichtungsturnier fahren. Im Mädchenbereich zählen immer Doppeljahrgänge, d.h. eine Mannschaft der derzeitigen U14 stellt sich dieses Jahr aus dem Jahrgang 2003 und 2004 zusammen. Perspektivspielerinnen der Auswahl ab U14 werden in den BFV-Förderkader der U15 männlich integriert, da das Spielen mit Jungs elementar für die Anforderungen auf nationaler und internationaler Ebene ist.“

Was ist die Philosophie der weiblichen BFV-Talentförderung?

„Die Talentförderung ist ein freiwilliges Angebot für die Spielerinnen, um sie neben der guten Ausbildung in den Vereinen noch zusätzlich zu fördern und Talente auf einer anderen Ebene nochmals weiterzubringen. Für uns stehen wohnortnahes Training, kurze Fahrtwege und das Leben in der eigenen Familie im Vordergrund. Wir haben dort in Berlin hervorragende Möglichkeiten, da fast an jeder Ecke wohnortnah ein Fußballverein ist und die Mädchen dort bei den Jungs oder in Mädchenmannschaften kicken können ohne weite Fahrtwege oder ein Internatsleben auf sich nehmen zu müssen.“

Warum gibt es für die Mädchen keine Eliteschule in Berlin?

„Dieses Gerücht hat sich in Berlin sehr manifestiert, ist aber nicht wahr. Wir haben in Berlin drei Eliteschulen an denen auch Mädchen trainieren und unterrichtet werden. Da das Trainieren und Spielen mit Jungs bei uns im Vordergrund steht, werden die Mädchen der DFB-Stützpunkte und die, die der U12-Auswahltrainer benennt, zu den Sichtungen der Eliteschulen eingeladen und sie durchlaufen diese adäquat mit den Jungs gemeinsam. Da in diesem Altersbereich noch keine großen körperlichen Unterschiede bestehen hat sich dies auch absolut bewährt. Die Mädchen werden dann ebenso wie die Jungs an die Eliteschule eingeschult und durchlaufen dort in gemeinsamen Trainingsgruppen die Schullaufbahn. Da sich oftmals bei den Mädchen der Weg zum Leistungssport aber erst in der 8./9.Klasse herauskristallisiert, haben wir auch die Möglichkeit über den Verband die Spielerinnen dann als Quereinsteiger an die Eliteschulen zu bringen. Dies gilt natürlich für die Toptalente die im Fokus des DFB sind oder eine gute Perspektive dafür haben.“

Warum ist das Spielen bei Jungs ein elementarer Bestandteil in der Talentförderung und wie lange kann ein Mädchen bei Jungs spielen?

„Das Spielen mit und bei Jungs ist für die Toptalente der Mädchen eine wunderbare Möglichkeit im Training auch immer höheren Konkurrenzdruck zu haben und sich damit in jeder Situation immer wieder neu beweisen zu müssen. Natürlich gibt es auch viele gute Mädchen, aber durch die körperlichen Unterschiede haben die Mädchen eine wunderbare Gelegenheit sich immer wieder durchsetzen zu müssen, was sie letztlich bei den DFB-Sichtungsturnieren robuster und widerstandsfähiger macht. Wenn wir uns die letzten DFB-Sichtungen, die wir erhalten haben anschauen, dann ist auch auffällig, dass die Feldspielerinnen, die gesichtet wurden, immer Spielerinnen waren, die unter Jungs gespielt und trainiert haben. Natürlich ist auch ein wichtiger Aspekt, dass das Mädchen sich wohlfühlt, um gute Leistungen zu bringen. Sollte das in der Jungsmannschaft nicht mehr gegeben sein, dann ist auch der Gedanke an ein Zweitspielrecht nicht abwägig. Ein Mädchen kann die gesamte Jugend bei den Jungs spielen. Es gibt sogar – aufgrund der körperlich anderen Entwicklung – die Möglichkeit als B-Mädchen ein Sonderspielrecht aus Talentfördergründen für eine C-Jungsmannschaft zu erhalten. Wichtig ist hier auch nochmal zu erwähnen, dass wir natürlich nicht die Mädchenmannschaften „kaputt“ machen möchten, sondern die besten Mädchen der Jahrgänge über hohe Konkurrenz im Training und Spiel fördern, dies betrifft in ganz Berlin pro Jahrgang nicht die Masse, sondern einen kleinen Teil an Toptalenten.“

Warum gibt es das Zweitspielrecht?

„Das Zweitspielrecht ist vor allem für die Toptalente eine interessante Sache. Da wir in Zusammenarbeit mit dem DFB die Toptalente in jedem Training immer fördern und fordern möchten ist es wichtig, dass sie im Training und in den Spielen immer einen hohen Konkurrenzdruck haben, der vor allem durch das Spielen mit Jungs immer wieder abgefordert wird. Das Zweitspielrecht gibt einer Spielerin die Möglichkeit die eigene Mädchenmannschaft nicht komplett verlassen zu müssen, aber trotzdem auch in einer männlichen Nachwuchsmannschaft zu spielen und zu trainieren. Dies erfordert natürlich eine hohe Kommunikation zwischen den jeweiligen Trainern der Vereine. Eine weitere gute Möglichkeit bietet sich auch den Vereinen, die die Toptalente der Mädchen im eigenen Verein bei den Jungs unterbringen können, um sie immer wieder mit hoher Konkurrenz im Training an ihre Grenzen zu bringen und weiterzuentwickeln.“

Beim Fußballdialog mit den B- und C-Juniorinnen kam die Frage auf, ob die Verbandstrainerin auch mal ein Spiel in den unteren Klassen oder in einer 7er Mannschaft des Juniorinnen-Spielbetriebes sichtet?

„Wir sichten vorrangig in der 11er-Verbandsliga der Mädchen, im Jungsspielbetrieb, bei dem Mädchen mitspielen. Wir gehen vorrangig davon aus, dass die besten Mädchen auch in den oberen Klassen und vor allem auf dem für uns wichtigen Großfeld unterwegs sind, da die DFB-Sichtungsturniere der jeweiligen Altersklassen auf die wir vorbereiten, eben genau dort stattfinden. Trotzdem ist uns bewusst, dass es natürlich auch immer mal wieder Talente in den unteren Spielklassen gibt, die im Talentförderprogramm aufgenommen werden sollten. Ist dies der Fall, so kann der Trainer/die Trainerin des jeweiligen Vereins uns sehr gerne kontaktieren und wir schauen, ob wir eine Sichtung in den unteren Spielklassen mit einbauen können bzw. laden die vom Trainer genannte Spielerin zu einer Sichtungsmaßnahme ein. Da wir „nur“ zwei Personen für sämtliche Großfeldmannschaften sind, ist es schwer den gesamten Spielbetrieb am Wochenende neben den eigenen Maßnahmen die stattfinden komplett abzudecken und setzen dort natürlich auch auf die Kommunikation mit unseren Vereinen und vor allem mit den zuständigen Trainern.“

Eine Trainerin bzw. ein Trainer erkennt eine potenzielle Auswahlspielerin in seiner Mannschaft: Wie kann er Kontakt zur Verbandstrainerin aufnehmen?

„Wir freuen uns immer über eine gute Zusammenarbeit mit den Vereinen, sodass die jeweiligen Trainer per E-Mail, BFV-Mail oder telefonisch gerne Kontakt aufnehmen können und wir uns über diese Spielerin austauschen und sie anschließend zu einer Sichtungsmaßnahme einladen. Zu den zentralen Sichtungen werden alle Vereine jedes Jahr per BFV-Mail informiert, sodass Spielerinnen gemeldet werden können. Dies hat in den letzten Jahren sehr gut funktioniert und hat sich bewährt.“

Wie erhalten die Trainer/innen regelmäßige Informationen über Ihre Spielerin bzw. über Maßnahmen im Mädchen-Stützpunkt?

„Alle abstellenden Vereine werden immer per BFV-Mail und per E-Mail an die zuständigen Trainer/innen über alle Maßnahmen informiert. Weiterhin erhalten die Vereine im Vorfeld einer Saison immer schon alle Maßnahmen des Talentförderprogramms, um die Termine schon einmal gesehen zu haben. Auf unseren Spielerdatenblättern sollen die Spielerinnen auch immer die E-Mailadresse des aktuellen Trainers eintragen, sodass wir dort auch den direkten Kontakt bei Rückfragen haben. Nach den Lehrgängen erhalten alle Trainer/innen der abstellenden Vereine immer eine Auswertung, die den Ablauf der vorhergehenden Maßnahme beinhaltet.“

Bietet die Verbandstrainerin eine Sprechstunde an?

„Es gibt keine feste Sprechstunde, allerdings komme ich gerne in die Vereine und führe dort Gespräche über jeweilige Talente und die Förderung dieser. Außerdem bin ich telefonisch und per E-Mail erreichbar, sodass die Fragen dort gerne gestellt werden können. Im letzten Jahr haben wir auch ein Trainertreffen in Wannsee organisiert, bei dem wir vieles über die Talentförderung weiblich vorgestellt haben und auch einige Missverständnisse ausräumen konnten. Dies wollen wir ungefähr im 2-3 Jahresrhythmus beibehalten, da die Trainer/innen ja zeitweise dann auch wechseln.“

Einige Trainer/innen melden immer noch keine Spielerin für das Sichtungstraining zu den Mädchen-Stützpunkten, da dort Spielerinnen abgeworben werden. Was sagen Sie zu den Vorwürfen?

„Wir belehren alle Trainer/innen, die wir an den Stützpunkten haben, vereinsneutral zu arbeiten. Abwerbungen haben in der Talentförderung nichts zu suchen, da wir keine Vereine bevorzugen oder benachteiligen. Wir sind für die Talentförderung der Spielerinnen eine zusätzliche Instanz, unabhängig davon, wo die Spielerin spielt. Bei uns geht es um die Entwicklung von einzelnen Talenten auf dem Weg zum DFB-Sichtungsturnier und einer eventuellen Nominierung für Nationalmannschaften.“